Wer bist du und wenn ja, wie viele? Jajaja, ich weiss, das kommt einem Zitat sehr nahe. (Buchtitel: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Von Richard David Precht) Doch ich finde, diese Frage geht sogar noch weiter: Wie oft? Wo? Wann? Mit wem? … All dies spielt mit hinein, wenn es um die Identität geht. Viele haben sich noch nie intensiver damit beschäftigt, was Identität ist, bzw. was dazu gehört. Auf jeden Fall ist sie sehr Komplex, nicht zur Gänze zu beschreiben und sozusagen mehr als die Summe ihrer Teile. Es gibt mindestens 2 Qualitäten, eine ist eher ganzheitlich-spirituell und die andere ist mental. Welche von beiden gerade vorherrschend ist, zeigt sich ganz gut, wen du dir (entspannt und in Ruhe) die Frage „Wer bin ich?“ stellst. Sie sacken und wirken lässt. Was will sich zeigen? Ist es eher ein Gefühl, eine Weite, eine Stärke und Klarheit? Eine Wärme oder Weichheit? Oder ein Symbol oder eine Gestalt? Das wäre eher der der spirituelle Aspekt. Oder wird dein Kopf ganz laut und rattert los? Sowas wie „Ist doch klar…ich bin erfolgreiche <bitte einsetzen> und bin Mutter von 12 Kindern. Ich kann alles und ausserdem noch <bitte einsetzen>…“? Das ist dann der mentale Aspekt? Es sind hier verschiede Ebenen der Identität.
Rollen vs. Identität
Das Bild, das man von sich hat…der Wert, den man sich gibt….das, was man über sich, die anderen und die Welt glaubt und denkt, sind alles kleine Puzzlestücke, die irgendwie zur Identität dazugehören. Genauso, wie die Rolle, die jeder von uns einnimmt. Und das sind wirklich viele Rollen. Partner*In, Freund*In, Mutter/Vater, Schwester/Bruder, Tochter/Sohn, Nachbar*In, Hunde-/Katzenmama, Student*in, Kolleg*In, Versorger*In, Einkäufer*In, Unterhalter*In…das lässt sich mit allen fortführen, was einem einfällt.Manchmal wechselt mach auch sekündlich von einer Rolle in die andere mehrfach am Tag. Das ist ganz normal. Ein Unterschied zwischen Rollen und Identität ist, dass man für bestimmte Situationen gezielt in Rollen schlüpfen kann und auch entsprechend auftreten kann. Das bewusste Annehmen einer Rolle kann in herausfordernden Situationen kurzfristig hilfreich sein. Identität hat hingegen mit wirklicher Verkörperung und Verinnerlichung zu tun und ist eng verbunden mit den Entscheidungen, die man trifft. Auch mit der Energie, die man ausstrahlt und damit, was man gerade in seinem Leben hat. Am liebsten entsprächen die meisten einer makellosen Lichtgestalt (unsere Seele ist das ja auch), aber der menschliche Faktor kommt uns in die Quere. Es gibt Dinge an uns, die uns bewusst sind und die wir mögen und manchmal auch nicht sehr. Und es gibt genauso Dinge, von denen wir nicht wissen, dass sie im Unterbewusstsein mitspielen und die ebenfalls unsere Identität und Ausstrahlung beeinflussen.
Identität ist fluide
Was auch spannend ist und viele gar nicht auf dem Schirm haben ist, dass Identität „lebendig“ ist, fluide ist. Mit jeder tiefen Erfahrung, mit allem, was man lernt, ändert sich auch die Identität. Durch die Verkörperung und Verinnerlichung „sitzt“ die Identität wörtlich in jeder Zelle, in jeder Faser….und auch in jeder Gehirnwindung. Dazu gibt es einschönes Beispiel, das sicherlich jeder nachvollziehen kann. (Fast) jeder war im Kindergarten, in der Grundschule und in der weiterführenden Schule. Ich kann mich gut erinnern…am Ende der Kindergartenzeit war ich schon ganz aufgeregt, am liebsten hätten die Sommerferien wegbleiben können. Und dann am ersten Schultag war ich wieder ganz aufgeregt. In meinem 70er-Jahre orangenem Cordanzug, dem hässlichsten gelben Lederranzen der Welt und einer blauen Stoffschultüte war ich stolz wie Bolle. Jetzt war ich eine von den „Großen“ und kein „Baby“ mehr. Von der Grundschule aufs Gymnasium war es dann ziemlich ähnlich. Jetzt war ich kein „Kind“ mehr, sondern „Erwachsen“ (…dachte ich ;-)…). Hier bin ich von einer Identität in die andere Identität geglitten, ohne es zu merken. Hatte mich von der einen in die andere entwickelt, ohne es zu merken. Zuerst war ich die Verkörperung eines Kindergartenkindes, dann die eines Grundschülers und die einer Gymnasiastin. Zwischendrin passiere so viel und es waren soviel Erlebnisse, dass ich von alleine aus dem Alten herauswuchs und ins Neue hinein.
Raus aus der Komfortblase
So eine Identität ist auch mit der eigene Komfortzone verbunden. Man ist in so einer warmen, kuscheligen Blase. Hat sich dort bequem eingerichtet, alles ist fluffig und man macht so sein Ding. Und irgendwann ganz leise ist da eine Regung und so ein Gefühl. Man fängt an sich ein bisschen zu bewegen und weiss gar nicht warum. Dann berührt man die Blase. Vielleicht aus Versehen, weil man gar nicht wusste, dass sie da ist. Das ist oft etwas, das man insgeheim über sich glaubt, ohne es zu bemerken. Z.B., dass man es sowieso nicht schafft, wenn man sich etwas vornimmt. Der Stoß an die Blase fühlt sich nicht so angenehm an und manche bleiben dann lieber in der Blase und kuscheln sich weiter ein. Andere werden neugierig und stoßen etwas mehr an die Blase. Solange bis ein oder mehrere Löcher drin sind. Oder sie reißen die Blase gleich ganz auf. Der erste Schritte nach draußen wird gemacht. Man orientiert sich, alles ist neu und unbekannt. Man bewegt sich weiter, entdeckt persönliches Neuland und lernt dazu. Solange, bis alles verinnerlicht und ganz normal ist. Und dann befindet man sich wieder in der nächsten kuscheligen Komfortblase, wie vorher auch. Und das genaue geht von vorne los. Jedes Verlassen der Blase und Betreten von Neuland ist eine Veränderung der Identität.
Was hat ein Marathon damit zu tun?
Man kann sogar seine Identität bewusst verändern. Allerdings sollte der Sprung nicht zu groß auf einmal sein. Z.B. ist man jemand, der bisher „nur“ spazieren geht, weil er total unfit ist. Dann bekommt man den Impuls, man könnte ja mal einen Marathon laufen. Wenn man da schon klar ist, prima. Ansonsten kann es sein, dass man sich weder auch nur ansatzweise vorstellen und sich hineinversetzen kann, so fit zu sein, geschweige dann so leine lange Strecke (mit Freude) zu laufen. D.h., die Identität des Marathonläufers ist jetzt grade zu weit weg. Der Berg ist so groß, dass manche gar nicht erst loslaufen. Wenn man sich dann Zwischenziele setzt, also schrittweise vorgeht, wird es besser funktionieren. Den Marathon als großen Wunsch kann man ruhig behalten. Und der nächste Schritt könnte z.B. sein, dass man 500 m Meter läuft. Gerade so groß, dass es machbar ist und , ganz wichtig, herausfordernd ist. Dann kann man sich noch gut hineinversetzen, als wäre man gerade schon die Strecke gelaufen. Nicht nur hineinversetzen, sonder es SEIN mit jeder Zelle, mit jedem Gedanken und mit mit jedem Gefühl. Die zukünftige Identität, das zukünftige Selbst (Future Self). Und aus dieser zukünftigen Identität beobachtet man sich selbst in der jetzigen Identität. Was wäre ein Rat, den du dir geben würdest? Welche Schritte bist du gelegen? Was tust du nicht? Welche neuen Gewohnheiten hast du? Welche alten Gewohnheiten hast du abgelegt? Was hast du gelernt? Wer ist bei dir? Wer ist nicht mehr in deinem Leben? … Dann handelst du genau danach. Irgendwann ist man dann komplett in seiner neuen Identität angekommen und verkörpert es wirklich. Das gilt es zu genießen. Und das zukünftig Selbst ist auf eimal das jetzige Selbst. Und man kann sich wieder auf den Weg zu einer neuen Identität machen. Solange, bis man den Marathon läuft.